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Von: Thorsten Kerbs

Der Übertrittsskandal beginnt gefühlt schon dort, wo sich manche Eltern meistens ein, manchmal aber auch zwei bis drei Jahre mit ihren Grundschulkindern nur noch über Noten und Schulstoff unterhalten müssen. Müssen deshalb, weil in den meisten hiesigen Grundschulen an kurzen Vormittagen nur verkündet wird, das Üben jedoch nach Hause delegiert wird. Und schon hängt der Schulerfolg stark von sozialen Faktoren ab.

Aber genau genommen formieren sich oftmals schon viel früher, nämlich kurz vor der Einschulung die Netzwerke im jeweiligen Sprengel und feilen (im Fall der Mehrzügigkeit) an der Klassenzusammensetzung. Ich kenne da eine Gemeinde, da fällt einem schon beim Blick auf die Namensliste der Klassen etwas auf, was so eigentlich gar nicht sein dürfte. Der Gerechtigkeit halber sei soll nicht unerwähnt bleiben, dass es nicht wenige Rektoren gibt, die solchen Bestrebungen mit starker Hand entgegenwirken und für eine gesunde Melange aus Zuordnung (Geschlecht, Schulweg) und zufälliger Verteilung (soziale und sprachliche Herkunft) Sorge tragen. Indes, nicht immer und überall ist das sichergestellt.

In der vierten Klasse entwickeln sich mit Blick auf die Gerechtigkeitsfrage grob vereinfacht zwei unterschiedliche Szenarien. Es beginnt entweder hartes Feilschen oder erbittertes Streiten zwischen Lehrern und Eltern um jeden halben Punkt, um den zur Anwendung kommenden Notenschlüssel, die gebotene oder verwehrte Gelegenheit zum Ausgleich schlechter Proben, um mündliche Noten und dergleichen mehr. In gewissen anderen Regionen bitten die GrundschullehrerInnen frühzeitig um Mitteilung der Eltern, wo denn bitte die Reise für ihr Kind hingehen soll. (Denn es gibt ja durchaus Eltern, die ihr Kind ob dieses Wahnsinns ausdrücklich auf die Realschule schicken.) Dem geäußerten Wunsch wird in solchen Schulen im Übertrittszeugnis dann auch zuverlässig entsprochen. Die politisch eigentlich gewollte Verteilung auf drei Schulformen (siehe dazu auch die sehr klare Darstellung der schulrechtlichen Rahmenbedingungen in Sabine Czernys Buch) wird in diesen Sprengeln ausgesetzt. Die Übertrittsquote auf das Gymnasium nimmt dann mitunter ganz erstaunliche Werte an, die zu denen anderer Stadtviertel auffällig kontrastieren. 2010 beispielsweise streute die Übertrittsquote auf das Gymnasium in München zwischen 16 und erstaunlichen 97 Prozent. Für 2012 wurde mir von Eltern einer Grundschulklasse glaubhaft (aber unverbrieft) berichtet, dass dort ausnahmslos alle Kinder auf das Gymnasium gewechselt hätten. Ist das Skandal genug?


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